Ausstellung „Private Investigations“ in Göllheim 3.5.2023 – 21.5.2023, Artikel aus der Rheinpfalz 6.5.2023

Laudatio zur Vernissage am 3.5.2023 von Claudia Schäfer

Ausstellung „PRIVATE INVESTIGATIONS – fotografische Studien“ von Jörg Vogelsang, Eisenberg, in der Kleinen Galerie im Kerzenheimer Tor, Göllheim,

Vernissage am Mittwoch, den 03.05.2023, 19 Uhr

„Sehen – erkennen – gestalten, dann hat man es schon geschafft“, ist das kurze, prägnante Motto von Jörg Vogelsang, dessen kleine Auswahl an fotografischen Arbeiten zum Göllheimer Frühjahrsmarkt präsentiert wird. Das meint ‚Sehen‘ im Sinne von aufmerksam beobachten, ‚erkennen‘ im Sinne eines fotogenen Objekts und ‚gestalten‘ im Sinne von komponieren aller motivischen Zutaten. Das hört sich vielleicht kompliziert an, aber Jörg Vogelsang findet, dass dieser Prozess trotzdem immer noch schnell vonstatten geht. Er ist weder ein Freund von akribischer Vorausplanung noch ein Perfektionist, schon gar nicht, um im Nachhinein am Computer das optimale Foto aus Hunderten herauszufischen. Dies ist dank digitaler Fotografie jedoch durchaus gängige Praxis. Überhaupt sind die Beeinflussungsmöglichkeiten analoger Fotografie früher im Vergleich zur Digitalfotografie heute deutlich eingeschränkter.

Der in Lörrach geborene, promovierte Chemiker mit Arbeitsplatz in Zürich, begann schon im Alter von vierzehn Jahren, sich intensiv für die Fotografie zu begeistern. Damals gab es den Rollfilm und verschiedene Kleinbildformate, aber noch keine Digitalkameras. Um Materialverschwendung zu vermeiden, sollte das reale Motiv am besten eins zu eins als Negativ auf dem Film landen, auch mit Hilfe eines Stativs, damals wie heute. Jörg Vogelsang betreibt also eine sparsame Fotografie, er braucht nur den einen Klick im rechten Moment. So erklärt sich seine Vorgehensweise: sehen, erkennen, gestalten und ‚Klick‘. Er hat seine Fotos zu Zeiten des Rollfilms auch immer selbst entwickelt. Heute benutzt er eine Digitalkamera, auf der er schwarz-weiss voreinstellt.

Ich möchte nun ein wenig die Unterschiede zwischen Farbfotografie und Schwarzweissfotografie beleuchten, um die Betrachtenden dafür zu sensibilisieren. Korrekterweise muss man bei der Schwarzweissfotografie von „Graustufenfotos einschliesslich der Extremwerte schwarz und weiss“ sprechen. „Mit der besonderen Fähigkeit zur minimalistischen Motivabstraktion eignet sich das Schwarzweissverfahren besonders zur künstlerischen Intensivierung einer Bildaussage im Sinne der künstlerischen Fotografie. Gerade in Zeiten allgegenwärtiger ‚bunter Bilder‘, die sich ab den 1970er Jahren massiv durchsetzten, ist diese Teildisziplin für viele Fotografen das Ausdrucksmedium ihrer Wahl. … Das Anliegen der Schwarzweissfotografie ist die Reduktion auf Strukturen, Licht und Schatten und die Abstraktion. … Das primär formale Denken in Helligkeitsnuancen wird ausdrucksstark in grafisches Schwarzweiss umgesetzt. … Die formale Grauwert-Dynamik als reduzierte Dimension wird wirkungsvoll inszeniert, wobei Kontrast- und Helligkeitsnuancen und ihre grafischen Beziehungen zueinander die zentralen Gestaltungskategorien darstellen.. … In der Farbfotografie als fototechnisches Verfahren von mehrfarbigen, realistischen Abbildern der optischen Wirklichkeit treten an diese Stelle die Gestaltungsmöglichkeiten der Kategorie Farbe, wobei das Beobachten, Erkennen und Bewerten von fotogenen Farbwerten und deren fotografische Umsetzung … andere Anforderungen an den Fotografen stellen als das primär formale Denken … “ Es sei noch erwähnt, dass ausser in der künstlerischen Fotografie die Schwarzweissfotografie in der Langzeitarchivierung, der Hochgeschwindigkeitsaufnahmetechnik für extrem kurzzeitige oder sehr schnell ablaufende Vorgänge (Zeitlupe) Anwendung findet.“ (Zitate aus wikipedia, ‚Schwarzweissfotografie‘) Aber auch in unserer Sepulkralkultur benutzen wir Schwarzweissfotos von Personen, die verstorben sind, um deren Tod zu verkünden, da ein solches Foto auf die Transzendenz, die geistige/geistliche Dimension hinweist.

Jörg Vogelsang ist ein „seriöser“ Künstler, also einer, der laut Definition ernst zu nehmen und glaubwürdig ist, da er bevorzugt in Folgen, Reihen, also Serien arbeitet. Er selbst beschreibt seine Vorgehensweise so: „Ich arbeite immer in Serien, die aus thematisch zusammenhängenden Bildern bestehen. Ein Schwerpunkt der fotografischen Serien ist das Aufspüren und Sichtbarmachen von Strukturen in natürlichen und anthropogenen Landschaften. Die Serien zeigen auch Studien zu Landschaften, Gebäuden, Stadt- und Dorfansichten, gelegentlich auch mit politischem Bezug. Das Querformat dominiert, da dies der menschlichen Sehweise am ehesten entspricht.“ Bis 1995 fotografierte er nur in Schwarzweiss, dann ab 2006 mehrheitlich in Farbe, um dann wieder auf die Schwarzweissfotografie zurückzukommen, weil er dort eben genau diese Abstraktion, die Konzentration, die Fokussierung auf das Wesentliche, die Linie, die Struktur, die Textur von Landschaft oder Architektur schätzt. Ich füge hinzu, dass die Schwarzweissfotografie die farbige Materialität in der Abbildung entmaterialisiert, überhöht und damit transformiert. Dies kann man in den Arbeiten von Jörg Vogelsang sehr gut wahrnehmen.

Zu sehen sind Fotografien aus dem Umfeld von Brunegg bei Zürich, wo er lebt und arbeitet, von Eisenberg, wo er auch lebt, von Göllheim Richtung Marnheim, von Tiefenthal und Nackter Hof, sowie von Ludwigshafen bis hin zur Bretagne. Die Fotografien von der BASF in Ludwigshafen bei Dunkelheit fügen sich perfekt in die schwarzweisse Nachbarschaft ein, obwohl einige wenige Farbakzente verraten, dass es sich um Farbfotografien handelt.

Fotograf und Motive begegnen sich einfach, selbst im eigenen Garten, unter dem Nussbaum liegend mit der Kamera in der Hand, den Lauf der Sonne beobachtend und ihr Lichtspiel mit Blättern des Baums und Blüten der Zitronenmelisse darunter. So entstanden diese spannenden Effekte der zarten, geheimnisvoll wirkenden Gegenlichtaufnahmen, transzendiert von der optischen Realität ins Graustufenfoto.

Eine andere Serie hält einen „Sternenhimmel“ aus mit Blitzlicht eingefangenen fallenden Schneeflocken fest. Verschiedene Grauwerte, Schärfe- bzw. Unschärfegrade und damit einhergehende Größenunterschiede der Schneeflocken stellen die zunehmende Entfernung zwischen Flocke und Blitzlicht dar mit dem Effekt einer starken räumlichen Wirkung.

Einen ganz anderen, eher kargen Eindruck, allerdings mit strukturellem Reichtum vermitteln die Bilder vom Meeresschlick am Strand von Tréguier in der Bretagne, wo ein Tidenhub von bis zu dreizehn Metern diese Hügellandschaft kreiert.

Noch mehr Hügel mit Struktur bietet der „Monte Kali“, die Abraumhalde in Osthessen an der A4. Hell-Dunkel-Kontraste beruhen auf verschiedenen, von unter Tage nach über Tage geförderten Gesteinsschichten beim Kaliumabbau.

Aber genauso fasziniert Jörg Vogelsang Architektur, gesehen und interpretiert durch Linie, Licht und Schatten auf einem Abendspaziergang durch Zürich: Häuser, Brücke, Eishockeystadion in Detailansicht, die ETH Zürich, sowie ein Züricher Wohn- und Geschäftshaus, das kaum in seiner Nüchternheit und abweisenden Schmucklosigkeit zu überbieten ist, hier mit nur wenigen Details charakterisiert.

Ich verweise nun auf den dritten Raum, den ich zum Anlass nehme, unbedingt die starke Frau neben und hinter dem Künstler vorzustellen. Denn Sie wissen ja, hinter jedem Künstler steht eine solche, die ihm den benötigten Freiraum verschafft und, wie es so schön heisst, ihm den Rücken frei hält: Sonja Gross, die hier nicht nur, aber im Besonderen die ungewöhnliche Fotoinstallation zusammen mit ihrem Mann konzipiert und dann realisiert hat, Fotografien im Inneren eines achtstöckigen Wohnhauses in Ludwigshafen, vorwiegend bewohnt von aktiven und ehemaligen BASFlern. Die Umkehrung der Sichtweise wird hier herausgefordert durch die „Fassade“ aus Wohnungseingangstüren, aufgenommen im Hausflur bei einfacher Flurbeleuchtung, denn das Innere kehrt sich hier nach aussen. Tragende Pfeiler liefert die Natur, Dargestellt sind dem Prinzip nach uniformierte Eingangstüren im Treppenhaus, der Raumhöhe hier geschuldet mit nur fünf von insgesamt acht Stockwerken. Die Serie analysiert unaufdringlich das individuelle Gestaltungsbemühen der Bewohner und Bewohnerinnen: will uns beispielsweise eine Person gar auf einen Wohnungsdschungel mit Tigerbewachung hinweisen oder eher abweisen?

Dahinter zeigt sich dezent das private Wohnumfeld des Paares in Brunegg und in Eisenberg, verfremdet durch das Spiel von langer Belichtungszeit und Bewegung.

Vervollständigen möchte ich meinen Vortrag mit Jörg Vogelsangs Werdegang. Prägend und inspirierend sind und waren für ihn nicht nur bekannte Fotografen wie vor allem Anselm Adams mit seinen faszinierenden Landschaftsaufnahmen in Schwarzweiss, sondern auch seine Zeit in Stuttgart während des Chemiestudiums und der zwanzig Jahre, die er dort lebte. Er profitierte dort von einer sehr regen Fotografie-Szene mit Fotoausstellungen und seiner fotografischen Ausbildung in VHS-Kursen, die ihn auch zu Foto-Exkursionen nach Frankreich brachte, verbunden mit einem intensiven Austausch über die dort entstandenen Aufnahmen. Jörg Vogelsang schätzt sehr seine fotografische Freiheit: im Unterschied zu Berufsfotografen, die von ihrem Beruf „leben müssen“, fotografiert er nur das, was er will, nicht das, was beauftragt wurde. Auch wenn sein Hauptberuf seine Freizeit begrenzt, gelingt es ihm doch immer wieder, das Eine mit dem Anderen geschickt zu verbinden.

Jörg Vogelsang kann eine Ausstellungstätigkeit seit 1984 nachweisen, so z. B. auf der Fotobiennale in Achern, Ausstellungen in Stuttgart, Lörrach oder Neustrelitz. Aber auch als Mitglied im Kunstverein Donnersbergkreis wird er durch Ausstellungsbeteiligungen im Kreisgebiet Einigen unter uns bereits bekannt sein.

Claudia Schäfer, Göllheim, den 03.05.2023

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